Das Konzept der Diversität setzt unvermeidlich eine Überlegung zu Differenz voraus. Aus anthropologischer Sicht wird Differenz verwendet, um die wahrgenommenen Unterschiede zwischen Einzelpersonen oder Gruppen zu beschreiben. Differenz ist gesellschaftlich beeinflusst und entsteht auf der Grundlage kultureller und sozialer Merkmale (d.h. Geschlecht, Nationalität/Herkunft, Alter, soziale Klasse, beruflicher Status, sexuelle Orientierung, religiöse Zugehörigkeit u.a.m.). Als solche wird Differenz nicht als eine Essenz verstanden, sondern als eine Beziehung, die sich auf das Nicht-Identische und "Andere" bezieht. Darüber hinaus impliziert sie Unterscheidung, Teilung und Vielfältigkeit, während letzteres uns zu Diversität führt.
Diversität, die im Bildungskontext angesiedelt ist, zeigt die Notwendigkeit eines multikulturellen Bewusstseins und Verständnisses sowie einer Reform der Bildungssysteme, um der wachsenden Zahl unterschiedlichster Lernender in verschiedenen Ländern und Orten gerecht zu werden. Somit ist Diversität ein Begriff mit zutiefst pädagogischer Bedeutung, da er die Bedeutung der Erforschung und Integration von Unterschieden in den Lehr- und Lernprozess annimmt. Aus pädagogischer Sicht beinhaltet ein Fokus auf Diversität das Verständnis, wie Unterschiede von Individuen und Gruppen deren gesellschaftliche Stellung beeinflussen und somit den Werdegang prägen.
Diversität bedeutet, eine verantwortungsvolle Haltung gegenüber Vielfältigkeit einzunehmen. D.h., unterschiedliche Perspektiven der Lernenden zu berücksichtigen und integrative Lehr- und Lernpraktiken einzubeziehen. Aus der Sicht von Pädagog*innen heißt die Anerkennung von Diversität eine Berücksichtigung der unterschiedlichen Art und Weise, wie die Schüler*innen ihre soziale Realität erleben, inklusive das Lernen in der Schule. In dieser Hinsicht wird Diversität zu einem positiven Kontext, in dem die Ausgrenzung und Abwertung minorisierter Gruppen verhindert werden und Herausforderungen verantwortungsvoll gehandhabt werden kann.
Diversität, d.h. die vielfältigen Dimensionen des Menschseins, kann als das Hauptgeschäft der Anthropologie bezeichnet werden (Hannerz 2010). Seit ihren Anfängen beschäftigte sich die Anthropologie mit dem systematischem Verständnis von Diversität, und versucht, die soziale und kulturelle Vielfalt in der Welt zu erklären (Barth et al. 2005). Wie in den Worten zweier Schlüsselfiguren der Disziplin ausgedrückt, versucht die Anthropologie "ihren Gegenstand durch ihre unterschiedlichsten Manifestationen zu erfassen" (Levi-Strauss 1985: 49), oder, in einer anderen Formulierung, erklärt sie, "wie unterschiedlich Menschen sein können und gleichzeitig, was alle Menschen gemeinsam haben" (Eriksen 2001:1).
In ihrem Versuch, Erkenntnisse über die menschliche Diversität zu gewinnen, hat die Anthropologie die Konzepte von Kultur und Gesellschaft verwendet, um die soziale und kulturelle Diversität in der Welt zu veranschaulichen. Der Kulturbegriff bezieht sich auf die erworbenen, kognitiven und symbolischen Aspekte der Existenz (siehe Moore 2009), während sich der Begriff der Gesellschaft auf die soziale Organisation des menschlichen Lebens und Interaktionsmuster bezieht (Kuper 1988). Beide Begriffe beziehen sich auf grundlegende Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zwischen Menschen. So ermöglichen sie Vergleiche und analytische Unterscheidungen bei der Untersuchung der kulturellen und sozialen Diversität (Eriksen & Nielsen 2001, Barnard 2004), sind jedoch nicht unproblematisch in ihrer Verwendung in und außerhalb der Wissenschaft.
In seiner Arbeit zu Diversität in der heutigen transnationalen Welt hat Ulf Hannerz (1996) sieben Ansätze zum Verständnis von Diversität vorgeschlagen: 1) beinhaltet die Förderung kultureller Diversität als Ausdruck menschlicher Kreativität; 2) ist geformt durch Ideen von Gleichheit und Selbstbestimmung; 3) bezieht sich auf die Anpassung des menschlichen Lebens an die physische Umwelt und ihre begrenzten Ressourcen; 4) ist ein Weg, um Beziehungen politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit entgegenzuwirken; 5) bedeutet, die verschiedenen kulturellen Ausdrucksformen wertzuschätzen; 6) wird als eine nützliche Provokation des Intellekts verstanden, während 7) als ein Fundus an Wissen über die Art und Weise, wie man die eigene Welt hinterfragen kann, angesehen (56-64).
Doch die Beschäftigung mit Differenz, die in den 1990er und 2000er Jahren an Bedeutung gewonnen hat, hat den Begriff der Diversität gewissermaßen in Mode gebracht. Diversität erscheint als Schlüsselbegriff in globalen und lokalen Debatten im Zusammenhang mit der Betonung der Partikularität und der Bewahrung kultureller Differenz. Teilweise wird sie als positiv und wertvoll wahrgenommen, teilweise führt sie auch zu Missverständnissen und Konflikten. Diversität wird in Verbindung mit Diskussionen und Praktiken des Multikulturalismus, der menschlichen Mobilität (Migration und Flüchtlingsbewegungen), nationalstaatlicher Politik, Identitätspolitik usw. verwendet (Brewster et. al. 2002, Vertovec & Wessendorf 2004). Diversität ist zu einer Idealvorstellung von gemeinsamer Menschlichkeit und bedingungslosem Bekenntnis zur positiven Seite der Differenz geworden und in seltenen Fällen auch zu einem Leitprinzip der Politik. Wie Hannerz feststellt, "bleiben Studien über Diversität das beste Gegenmittel gegen unreflektierten Ethnozentrismus" (2010: 544).
Diversität, insbesondere kulturelle Diversität, ist in der Bildungswissenschafts- und Pädagogik-Literatur als Begriff für die Diskussion verschiedener Formen von Heterogenität eingeführt worden. Sie dient als Paradigma, um die Auswirkungen des Multikulturalismus auf die Bildung zu thematisieren. Diversität kann sich auf jeden Ansatz beziehen, der Unterschiede in Bildungskontexten und -praktiken auf der Grundlage sozialer und kultureller Verschiedenartigkeit anerkennt. Darüber hinaus tendiert die Diskussion über Diversität dazu, nicht nur eine deskriptive, d.h. beschreibend-neutrale Dimension darüber zu enthalten, wie verschiedene Gruppen (und ihre jeweiligen Mitglieder) unterschiedlich strukturiert sind, sondern auch eine stark subjektive Dimension, die festschreibt, wie verschiedene Gruppen (und ihre jeweiligen Mitglieder) in sich selbst und untereinander interagieren sollten (Dietz 2009: 58-59).
Aktuelle globale Phänomene haben die Klassenzimmer nochmal mehr in einen Ort der multikulturellen Interaktion verwandelt. Die Forschung zur kulturell-diversen Bildung diskutiert die Schwierigkeiten, die sich im Unterricht in einem multikulturellen Klassenzimmer ergeben (Chouari 2016). Diese Klassenzimmer unterscheiden sich von früheren tendenziell homogeneren Klassenzimmern und erfordern, dass Lehrer*innen mit zusätzlichen Kompetenzen ausgestattet werden (McAllister & Irvine 2002), wie z.B. der Fähigkeit, effektiv mit allen Schüler*innen zu kommunizieren und zu interagieren und Situationen im Klassenzimmer verantwortungsvoll zu handhaben (Chamberlain, 2005). Rego und Nieto (2000) argumentieren, dass guter Unterricht im multikulturellen Klassenzimmer möglich ist, wenn sich die Lehrer*innen der großen Herausforderungen dieser Klassen bewusst sind, gut ausgebildet und mit angemessenen Kompetenzen ausgestattet sind. Eine Grundvoraussetzung bleibt, dass die Schulen in Richtung einer multikulturellen Bildungspraxis reformiert werden.
Rego und Nieto (2000) stellen in ihrer Studie zwei Länder, die Vereinigten Staaten und Spanien, im Hinblick auf die Herausforderungen vor, denen Lehrer*innen in Schulen mit kultureller und sprachlicher Diversität gegenüberstehen. Dabei untersuchen die Effizienz der Ausbildungsmethoden, die Lehrer*innen durchlaufen müssen, um Kompetenzen für den Umgang mit kultureller Vielfalt in Schulen zu erwerben. Viele Schüler*innen in den Vereinigten Staaten, insbesondere solche aus kulturell und wirtschaftlich benachteiligten Verhältnissen, scheitern. Traditionelle Erklärungen dafür beruhen auf der angeblichen biologischen Unterlegenheit oder auf der Gleichgültigkeit der jeweiligen Familien gegenüber den Vorteilen der Bildung (Rego & Nieto 2000: 417).
Mit der zunehmenden Diversität der Schulen wird deutlich, dass die Hintergründe und Erfahrungen der Schüler*innen berücksichtigt werden müssen. Daher ist es für Lehrer*innenausbildung problematisch, allein den Hintergrund der Schüler*innen für ihr Versagen verantwortlich zu machen. Die meisten Pädagogischen Hochschulen haben sie nur unzureichend darauf vorbereitet, den Unterricht in kulturell unterschiedlichen Kontexten zu berücksichtigen. Darüber hinaus ist der Anteil von Lehrer*innen aus minorisierten Gruppen (Latinos, Afro-Amerikaner*innen) nach wie vor gering. Es haben jedoch auch einige bedeutende Veränderungen stattgefunden, wie die Einführung von historischem Wissen in die Kurse; die Förderung der Reflektion der Lehrer*innen durch Kurse und andere Aktivitäten; die Ermutigung der Lehrer*innen, in den Gemeinschaften, in denen sie arbeiten, ethnographische Mini-Forschungen durchzuführen, oder die Anregung von Lehrern*, Artikel für die Lehrer*innenausbildung auf der Grundlage ihrer Erfahrungen zu schreiben. So lässt sich sagen, dass bei diesem Ansatz die Lehrer*innen im Zentrum des Ausbildungsprozesses stehen (Rego & Nieto 2000: 417-418).
Der Fall Spaniens ist anders gelagert. Historisch gesehen war das Land ein Ort des Konflikts zwischen verschiedenen Gruppen (Christ*innen, Jüd*innen, Muslim*innen). Neben dieser historischen sprachlichen und kulturellen Pluralität hat das Land eine große Migration in neuerer Zeit erfahren. In der Bildung wird kulturelle Diversität wird kaum als wesentlich angesehen. Nichtsdestotrotz hat die enorme Zunahme kultureller Austauschprogramme unter Studierenden und Lehrenden (wie Erasmus, Sokrates, Leonardo usw.) in den letzten 20 Jahren zu einem wachsenden Bewusstsein für die kulturelle Vielfalt beigetragen. Lehrerverbände, NGOs und Universitäten haben damit begonnen, Kurse und Programme für Pädagog*innen anzubieten, die interkulturelle Themen reflektieren.
Laut Rego & Nieto begreifen die meisten angehenden Lehrer*innen die interkulturelle Erziehung als nichts anderes als eine vorübergehende Unterbringung einiger weniger Einwanderer*innen. Daher, so argumentieren die Autor*innen, ist eine vollständige Reform der Lehrer*innenausbildung obligatorisch. Gleichzeitig muss diese Transformation darüber hinausgehen. So es ist ebenso wichtig, dass Lehrer*innen von den Lebenswelten der Schüler*innen und Familien lernen und auf diese im Unterricht aktiv eingehen.
Differenz, Kultur, In- und Exklusion, Multikulturalismus, Interkulturelle Bildung, Othering
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Ioannis Manos, Georgia Sarikoudi (Griechenland)
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