Das Konzept des Embodiment (auf Deutsch etwa „Verkörperung“ oder „Verleiblichung“) erlaubt es uns, den menschlichen Körper nicht nur als ein selbstverständliches biologisches Objekt zu verstehen, sondern auch als eine soziale Konstruktion, die aktiv hergestellt wird und in Wechselwirkung mit ihrer Umwelt steht. In dieser Perspektive basieren unsere körperlichen Erfahrungen und unser Selbstempfinden auf sozialen Normen, Werten und Überzeugungen. Ein lapidares Beispiel wäre das Essen von Insekten, was andernorts eine Spezialität darstellt, jedoch in Europa kaum geläufig ist. Wenn sich jemandem beim Essen von Insekten sprichwörtlich "der Magen umdreht", dann ist das keinesfalls eine biologische Reaktion, sondern vielmehr eine soziale Erfahrung, die zu einer körperlichen Empfindung führt. So gesehen können wir mit diesem Konzept die komplexe Beziehung zwischen Körper, Gesellschaft und Identität untersuchen.
Embodiment ist eng verbunden mit einer Vorstellung von Persönlichkeit. So befasst sich das Konzept mit der Art und Weise, wie das verkörperte Selbst mit der Umwelt reagiert, aktiv geformt wird und vom jeweiligen sozialen Umfeld spezifische Bedeutungen erhält. Im schulischen Kontext eines christlichen, westeuropäischen Landes könnte der Gebrauch des Hijab (ein von muslimischen Frauen getragener Schleier, der Kopf und Brust bedeckt) durch eine Schüler*in, dessen Tragen mit religiösen Überzeugungen zusammenhängt (dem Bedecken bestimmter Körperteile außerhalb der engeren Familie), sie stigmatisieren.
Darüber hinaus könnten in einem kulturellen Kontext, in dem das vorherrschende Ideal über den männlichen und/oder weiblichen Körper der "dünne Körper" ist, Schüler*innen mit einer entsprechenden Körperform größere soziale Akzeptanz und einen höheren Status genießen als andere, die abwertende Spitznamen und diskriminierendes Verhalten erfahren. In gleicher Weise könnten tätowierte oder gepiercte Schüler*innen von Mitschüler*innen und/oder Lehrer*innen wegen ihrer körperlichen Erscheinung Kritik oder Ablehnung erfahren, da das Tätowieren/Piercen als ein Akt der Infragestellung der vorherrschenden Vorstellungen eines angemessenen Erscheinungsbilds wahrgenommen werden könnte.
Der Begriff des Embodiment wird in den Sozialwissenschaften verwendet, um den Körper als soziales und kulturelles Phänomen zu diskutieren. Ein Großteil des europäischen Denkens hat den Körper als einen naturgegebenem biologischen Hintergrund betrachtet, der am sozialen Leben teilnimmt. In einer frühen Studie über die kulturellen und sozialen Dimensionen des Körpers wies Hertz (2013 [1909]) beispielsweise auf die symbolische Vorrangstellung der rechten Hand hin. Noch bekannter ist, wie Marcel Mauss den Körper als ein soziales Produkt begriff und das Konzept der "Techniken des Körpers" einführte, um zu beschreiben wie Menschen kulturell erlerntes körperliches Verhalten als selbstverständlich verstehen (1973 [1935]). In seiner Diskussion über personhood (auf deutsch etwa "Persönlichkeit") verknüpfte Mauss seine Vorstellungen über den Körper mit dem Begriff der personhood und suggerierte, dass alle Menschen einen Eindruck von geistiger und körperlicher Individualität haben (1985 [1938]).
In den 1960er und 1970er Jahren gewann der Körper als ein Thema von theoretischer und ethnographischer Bedeutung an Bedeutung. In seiner Analyse der Wahrnehmung verwendete der Philosoph Maurice Merleau-Ponty (1982 [1962]) den Begriff des Embodiment, um Wege zu verstehen, die Welt um uns herum durch unseren eigenen Körper zu kennen und zu erfahren. Er schlug vor, dass eine Konzentration auf den Körper das Verständnis von Selbstwahrnehmung und Identitätsvorstellungen bereichert. Mary Douglas (1973) erforschte symbolische Aspekte des Körpers und damit verbundene soziale Bedeutungen. Sie schlug die Idee von "zwei Körpern" vor, dem physischen und dem sozialen, und argumentierte, dass der soziale Körper einschränkt, wie wir den physischen Körper wahrnehmen und erfahren. Für Douglas ist der Körper ein Abbild der Gesellschaft, so dass sich verschiedene Formen von sozialer Kontrolle auf Körperbilder und gesellschaftliche Normvorstellungen stützen.
Die gegenwärtige Wissenschaft über den Körper ist stark von feministischen und sozialkonstruktivistischen (die Idee, das auch naturwissenschaftliche "Tatsachen" durch unser Verständnis entstehen) Perspektiven geprägt. In dieser Sichtweise ist der soziale Körper, der im Hinblick auf dominante soziale Praktiken oder kulturelle Normen konstruiert wird, das Produkt sozialer Prozesse. So geht dieser Ansatz auch davon aus, dass die Bedeutungen, die dem Körper zugeschrieben werden, und die Grenzen, die zwischen den Körpern verschiedener Gruppen bestehen, ebenfalls soziale Produkte sind. Die Art und Weise, wie Menschen sich selbst und andere sehen, wird nicht nur durch die Biologie, sondern auch durch die sozialen Welten, in denen sie leben, geprägt. Darüber hinaus konstruieren Menschen bestimmte Erwartungen und Vorstellungen über geschlechtliche Körper, die oft auch als Mechanismen sozialer Macht und Kontrolle dienen.
Embodiment bezieht sich also auf den Prozess des Verstehens der Welt durch gelebte körperliche Erfahrung. Der Begriff begreift den Körper als ein soziales Konstrukt, das sowohl physisch (biologisch) als auch soziokulturell existiert. In dieser Hinsicht ist der Körper in der Anthropologie aus drei verschiedenen Perspektiven untersucht worden: (a) als ein aus der Selbsterfahrung wahrgenommener individueller Körper - als Selbst, d.h. jede*r versteht die Besonderheit des eigenen Körpers, (b) als ein sozialer oder symbolischer Körper, der die Beziehungen zwischen Natur und Gesellschaft repräsentiert, wie sie in der Gesellschaft zum Ausdruck kommen, und (c) als ein politischer Körper, dem Formen von Kontrolle und Macht in ihren verschiedenen Dimensionen (Reproduktion, Arbeit, Gesundheit) eigen sind (Featherstone 1991, Csordas 1994, Weiss und Haber 1999).
Der einflussreiche französische Philosoph Paul-Michel Foucault ([1973] 1994) vertrat die Ansicht, dass die Art und Weise, wie Menschen den Körper sehen, von dominanten Diskursen beeinflusst wird, d.h. von Denksystemen, die sich aus Ideen, Überzeugungen und Handlungsweisen zusammensetzen, die Individuen durch Sprache konstruieren. Die Ansichten über den Körper variieren von Gesellschaft zu Gesellschaft, je nachdem, welche Weltanschauungen in einem bestimmten gesellschaftlichen Umfeld dominieren. Als solcher ist der Körper für bestimmte Mitglieder der Gesellschaft eine direkte Möglichkeit, Kontrolle auszuüben. Institutionelle Macht, wie sie in der Schule zu finden ist, prägt sowohl das Erscheinungsbild als auch die Handlungen in Bezug auf den individuellen Körper.
Schulen sind soziale Institutionen, in deren alltäglicher Praxis Manifestationen von Kontrolle und Körpervorstellungen beobachtet werden können. Neil und Caswell (1993) haben argumentiert, dass Lehrer*innen darin geschult werden sollten, die Körpersprache der Schüler*innen zu erkennen und zu entziffern (Gestik, Mimik, Tonfall), so dass sie bereit sind, der Infragestellung ihrer Autorität durch die Schüler*innen entgegenzuwirken.
In ihrer Studie über zwei Schulen in Nordengland beobachtete Simpson (2000) den Übergang der Schüler*innen von der Primar- zur Sekundarstufe und erläuterte die Bedeutung des Konzepts der Embodiment für das Verständnis der Art und Weise, wie Machtverhältnisse innerhalb der Schulen kodiert und ausgeübt werden. Vom ersten Tag in der Sekundarschule an erinnerten die Lehrer*innen die Schüler*innen an die Notwendigkeit der körperlichen Kontrolle und Befolgung (kein Schreien oder Sprechen ohne Erlaubnis, auf dem Platz bleiben, wenn man keine Erlaubnis zum Verlassen hat, kein Kaugummikauen). Die Nichteinhaltung führte zu einer Reihe vorher festgelegter Konsequenzen (z.B. Verwarnung, Name auf der Tafel, Nachsitzen, Kontakt zu den Eltern). Diejenigen, die sich an die Regeln hielten, erhielten einen Stempel für "gutes Benehmen" oder durften Spiele spielen oder Videos ihrer Wahl ansehen (62).
Simpson behauptete, dass ein Zweck der Schullehrpläne darin besteht, sicherzustellen, dass die Schüler*innen wirksam beaufsichtigt und diszipliniert werden, insbesondere in Bezug auf den körperlichen Ausdruck und die Nutzung des physischen Raums (63). Der "Lehrplan des Körpers" schreibt im Detail vor, was als akzeptables Verhalten gilt (kein Laufen, kein Kaugummi, kein Verlassen des Klassenzimmers, bis die Glocke läutet usw.). Das Schulpersonal versuchte, Disziplin durchzusetzen, indem es darauf hinwies, dass Regeln und Einschränkungen der eigenen Sicherheit der Schüler*innen dienen (68). Die Schulen regulierten das körperliche Erscheinungsbild und die Selbstdarstellung der Schüler*innen durch eine Kleiderordnung (kein Make-up oder Nagellack, alle Hemden in Hosen oder Röcke gesteckt). Die Körper der Schüler sollten der visuellen und Verhaltensästhetik entsprechen. Im Umgang mit Fehlverhalten setzten Sekundarschullehrer*innen Stereotypen in Bezug auf Alter, körperliche Erscheinung und angemessenes Verhalten ein ("Du bist jetzt größer und nicht mehr im Kindergarten"). Fehlverhalten wurde der Tatsache zugeschrieben, dass die Kinder die in der Sekundarstufe (70-74) erwartete körperliche Kontrolle noch nicht beherrschten. Zusammengenommen zeigt das, wie auch oft lapidare Regeln durch bestimmte Körpervorstellungen geprägt sind und Schüler*innen so mit Anpassungsversuche an gesellschaftliche Rollenbilder konfrontiert sind.
Körper, Macht, Identität, Othering, Kulturelle Praktiken, Representation, Sozialisation
Csordas, T.J. (Ed.). (1994). Embodiment and Experience: The Existential Ground of Culture
and Self. Cambridge: Cambridge University Press.
Douglas, M., (1973). Natural Symbols. New York: Vintage.
Featherstone, M. (et al.). (1991). The Body. London: Sage.
Foucault, M. (1993 [1974]). The Birth of the Clinic. Tavistock.
Hertz, R., 2013 [1909]. The pre-eminence of the right hand: A study in religious polarity. HAU:Journal of Ethnographic Theory, 3 (2). (335–357).
Mauss, M. (1973 [1935]). Techniques of the body. Economy and Society, 2(1). (70-88).
Mauss, M. (1985 [1938]). The category of the person. In Carrithers, M., Collins, St., Lukes, St., (Eds) Anthropology, philosophy, history. Cambridge: Cambridge University Press. (1-25).
Merleau-Ponty, M., (1982 [1962]). Phenomenology of perception. London: Routledge.
Neil, S., & Caswell, C. (1993). Body Language for Competent Teachers. London & New York: Routledge.
Simpson, B. (2000). The Body as a Sign of Contestation in School. In Prout, A. & Campling, J. (Eds) The Body, Childhood and Society. London: Palgrave. (60-79).
Weiss, G. & Haber, H., F. (1999). Perspectives on Embodiment: The Intersections of Nature and Culture. New York: Routledge.
Ioannis Manos, Georgia Sarikoudi (Griechenland)
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