Ethnozentrismus ist die Beurteilung anderer Menschen und Lebensweisen aus der Überzeugung heraus, dass die Werte und Normen des eigenen kulturellen Hintergrunds der einzig richtige Bezugsrahmen sind. Leider überrascht es nicht, dass die europäischen Lehrpläne immer noch weitgehend ethnozentrisch, bzw. eurozentrisch sind. Was und wie wir unterrichten, ist niemals neutral, und die Berücksichtigung dieser Tatsache ist hilfreich, um allen Lernenden in dieser immer vielfältigeren Welt ein faireres und angemessenes Lehrumfeld zu schaffen.
Ethnozentrismus bezieht sich auf die Tendenz, die Welt aus der Perspektive des eigenen kulturellen Hintergrunds wahrzunehmen und zu beurteilen. In diesem Sinne ist es eine Art Binsenweisheit, da alle Menschen die Welt aus ihren jeweiligen kulturellen Perspektiven, eingebettet in Wertesysteme, die Welt wahrnehmen und beurteilen. Mit Ethnozentrismus sind kulturelle Voreingenommenheiten gemeint, die institutionalisiert, d.h. in die soziale Struktur eingebettet sind und über die Grenzen der Gesellschaften, in denen sie entstanden sind, hinaus ausgedehnt werden. Somit bezieht sich der Begriff auch auf gängige Tendenzen, bestimmte Weltanschauungen als universell darzustellen. Der Eurozentrismus ist zum Beispiel eng mit der Geschichte des Kolonialismus und Imperialismus verbunden, in denen spezifische Vorstellungen von Rasse, Geschlecht und sozialer Klasse konstruiert wurden. Mit einem Zitat der kanadischen Erziehungswissenschaftlerin Marie Battiste identifiziert Baker (2008) den Ethnozentrismus in der Bildung als eine Form des "kognitiven Imperialismus", der westliche Weisen des Wissens, Lehrens und Lernens als überlegen darstellt.
Innerhalb der Anthropologie führte die Kritik des Eurozentrismus zu einem Rückgriff auf den Kulturrelativismus als Basis zur Erforschung und Bekämpfung ethnozentrischer Voreingenommenheiten. Mit Kulturrelativmus ist die zentrale Idee gemeint, dass jede Weltanschauung von vornherein immer partiell und partikulär ist und dass daher keine einzelne Weltanschauung Universalität beanspruchen kann.
Der Begriff des Ethnozentrismus wurde innerhalb der Anthropologie insbesondere von Franz Boas (1858-1942) eingeführt, einer der Gründerfiguren der amerikanischen Anthropologie. Er benutzte den Begriff, um die Verbreitung und Dominanz von Diskursen zu beschreiben, die „das Europäische“ als die höchste Form der Evolution darstellten. Diese Sicht war in der Öffentlichkeit absolut gängig, speziell in der Wissenschaft und an den Universitäten. Dementgegen sprach sich Boas dediziert gegen die Praktik aus, auf einer Idee von Evolution Menschen und Gesellschaften in rassische Kategorien einzuteilen und ihnen einen größeren oder kleineren Wert in konstruierten Wertesystemen zuzusprechen. Als Gegenentwurf entwickelte Boas den Kulturrelativismus als Mittel, welches Anthropolog*innen ermöglichte, andere Menschen und Gesellschaften in ihrer eigenen Logik zu verstehen und nicht auf die eigenen Vorurteile in der Analyse zurückzugreifen. Konkret heißt dies, dass Wertungen und Analysen erst nach einem längeren ethnographischem Aufenthalt vor Ort möglich werden (Moore 2002, Barnard 2011).
Diskussionen rund um den Kulturrelativismus haben Anthropolog*innen erkennen lassen, dass genau die Konzepte, die wir bei der Beschreibung und Klassifizierung der Welt verwenden, ethnozentrisch verzerrt sind, d.h., dass sie in einer bestimmten sprachlichen und kulturellen Perspektive angesiedelt sind. Seit der Boas-Ära haben sich die Vorstellungen über den Kulturrelativismus über die Anthropologie hinaus verbreitet. Jedoch wurde in anderen Bereichen der Kulturrelativismus nicht als ein methodologisches und analytisches Werkzeug verstanden, sondern führte eher zu einem moralischen Relativismus (in dieser Kultur ist es in Ordnung...) oder dazu, menschliches Verhalten zu kulturalisieren (es ist eben ihre Kultur...).
Hierzu diskutierte die renommierte Anthropologin Lila Abu Lughod (2008), inwieweit eine Balance zwischen unreflektiertem Ethnozentrismus und überbordendem Relativismus möglich ist:
“Again, when I talk about accepting difference, I am not implying that we should resign ourselves to being cultural relativists who respect whatever goes on elsewhere as "just their culture." I have already discussed the dangers of "cultural" explanations; "their" cultures are just as much part of history and an interconnected world as ours are. What I am advocating is the hard work involved in recognizing and respecting differences—precisely as products of different histories, as expressions of different circumstances, and as manifestations of differently structured desires“ (Lila Abu Lughold 2008, 787).
Während Sie sich hier explizit an Anthropolog*innen wendet, so lässt sich dies ohne weiteres auch auf Lehrende in allen Bereichen der Bildung ummünzen, welche über alle in einem Klassenzimmer vertretenen sozialen und kulturellen Unterschiede hinweg unterrichten.
Joanna DaCunha (2016) bietet einen Einblick in die Reihe von Workshops, die sie in den USA mit Gruppen von Schülern im Alter von 13-18 Jahren mit unterschiedlichem Hintergrund leitete. Diese hatten zum Ziel, die eurozentrische Ausbildung durch einen Lehrplan für soziale Gerechtigkeit zu untergraben, der entwickelt wurde, um Schüler*innen bei der Entwicklung eines kritischen Bewusstseins und Selbstbewusstseins zu unterstützen. Unter Verwendung von Critical Race Theory und anderer theoretischer Rahmen zielten die Workshops darauf ab, das kritische Bewusstsein der Jugendlichen durch Selbst-, Gesellschafts- und globalem Bewusstsein zu fördern, indem sie den vorherrschenden weißen Diskurs hinterfragen und den Schüler*innen durch die Auseinandersetzung mit Populärkultur und Geschichte etwas über ihre jeweiligen schwarzen und lateinamerikanischen Communities beibringen. In den Workshops analysierten die Schüler*innen Musiktexte, schrieben Gedichte, beschäftigten sich mit Medienrepräsentation, sozialen Bewegungen und marginalisierten Kulturen im Besonderen. Dies hatte zur Folge, dass andere Lebensrealitäten thematisiert wurden, welche den Jugendlichen viel Selbstbewusstsein für die eigene gesellschaftliche Position mit auf den Weg gab.
Eurozentrismus, Kulturrelativismus, Kolonialismus, Othering
Abu‐Lughod, L. (2002). “Do Muslim Women Really Need Saving? Anthropological Reflections on Cultural Relativism and Its Others”. American Anthropologist, 104(3), 783-790.
Baker. M. (2008). Teaching and Learning About and Beyond Eurocentrism: A Proposal for the creation of an Other School. https://www.academia.edu/1516858/Teaching_and_Learning_About_and_Beyond_Eurocentrism_A_Proposal_for_the_Creation_of_an_Other_School(zuletzt abgerufen am 25.04.2020)
Barnard, A. (2000). History and Theory in Anthropology. Cambridge University Press.
Brown. M. (2008). Cultural Relativism 2.0 Current Anthropology, 49(3), 363-383.
DaCunha, J. (2016). "Disrupting Eurocentric Education through a Social Justice Curriculm". International Development, Community and Environment (IDCE). Master’s Paper. Clark University. https://commons.clarku.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1087&context=idce_masters_papers (zuletzt abgerufen am 25.04.2020)
Hylland Eriksen, T. (1995). Small Places, Large Issues. An Introduction to Social and Cultural Anthropology. London: Pluto Press.
Moore, J. D. (2002). Visions of Culture: An Introduction to Anthropological Theories and Theorists. AltaMira Press.
Jelena Kuspjak, Danijela Birt Katić (Kroatien)
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