Warum diesen Text lesen…
Sie sind dazu eingeladen, diesen Text zu lesen, wenn es Sie interessiert, inwieweit Diskriminierung in einer kontextabhängigen Weise erlebt wird. Wir versuchen, die komplexen Zusammenhänge von Unterdrückungsstrukturen zu erklären und die Funktion von multiplen Ungleichheiten zu erkunden. Dazu gehört die Diskriminierung aufgrund von Rasse, Geschlecht, Klasse, Sexualität, Alter usw. und vor allem ihre Wechselbeziehung und Verflechtung.
Geschichte
Sucht man nach den historischen Wurzeln der Debatte über Intersektionalität, stoßen wir auf die Erfahrungen schwarzer Frauen und Lesben, die sich nicht mit dem Feminismus der westlichen weißen Mittelschicht identifizieren konnten. Der Fokus auf die allgemein erlebte geschlechtsspezifische Unterdrückung reichte nicht aus, um den komplexen Kontext rassistischer und sexistischer Ausgrenzung darzustellen. Der viel zitierte Text "Ain't I a Woman?" (1851) der Frauenrechtlerin und ehemaligen Sklavin Sojourner Truth (1798-1883) nannte dieses zentrale Problem der Frauenbewegung, das in den 1970er Jahren von schwarzen Feminist*innen in den USA als Reaktion auf eindimensionale Lippenbekenntnisse von "globaler Schwesternschaft" in Erinnerung gerufen wurde. Es ist von grundlegender Bedeutung zu betonen, dass Frauen nicht nur wegen ihres Geschlechts, sondern auch wegen ihrer Hautfarbe und ihrer Klassenzugehörigkeit unterdrückt werden. Um diese Verflechtungen von sozialen Ausgrenzungsprozessen zu fassen wurde der Begriff der Intersektionalität erstmals Ende der 1980er Jahre von der amerikanischen Anwältin Kimberlé Crenshaw (1989) ins Spiel gebracht.
a) Diskussion
Intersektionalität beschreibt somit die Interaktion und Überlappung von Ungleichheitskategorien, die neue Formen und Muster der Diskriminierung schaffen. Zu diesen Kategorien der Ungleichheit gehören Geschlecht, "Rasse" / Ethnizität, Klasse, Nationalität, Sexualität, Alter, Behinderung usw. Die Auswahl der Kategorien wird nach der Relevanz des Themas in spezifischen Fällen und Kontexten getroffen. Laut Crenshaw gehören Geschlecht, Rasse und Klasse zu den Hauptkategorien mit dem späteren Zusatz "Sexualität". Heutzutage wird der Begriff der Intersektionalität disziplinübergreifend genutzt. Das Theorie- und Analysesystem "Intersektionalität" kann sozial konstruierte Dimensionen von Macht und Herrschaft und verschiedene Positionen sozialer Ungleichheit veranschaulichen. Die Kategorien sind nicht additiv zu verstehen, sondern müssen in ihren Verflechtungen und Wechselbeziehungen bzw. Schnittstellen betrachtet werden. Es kann daher keine “endgültige” Form der Diskriminierung geben.
b) Praktisches Beispiel
Ein additiver Begriff von Diskriminierung würde bedeuten, dass es sich um eine ultimative Diskriminierung handelt, z.B. wäre dann eine schwarze lesbische Frau im Rollstuhl stärker benachteiligt als eine muslimische immigrierte Frau. Ganz im Gegenteil schafft die intersektionelle Kombination von sozialen Kategorien neue Formen der Benachteiligung, die stärker kontextabhängig sind. Die gleiche Form der Diskriminierung hat nicht die gleichen Auswirkungen auf verschiedene Leben. Wie die Diskriminierung erlebt wird, ist immer kontextabhängig und kann je nach Situation unterschiedlich sein und unterschiedlich empfunden werden. Auf der einen Seite heißt das, dass spezifische Bedürfnisse variieren und unterschiedlich sein können. Auf der anderen Seite impliziert es, dass eine Person sowohl Opfer als auch Täter*in sein kann, was bedeutet, dass eine lesbische Frau aufgrund ihrer sexuellen Identität diskriminiert werden kann, sie aber gleichzeitig selbst rassistische Perspektiven oder Meinungen haben kann.
Crenshaw beschreibt als Beispiel eine Kreuzung, an der der Verkehr aus allen vier Richtungen kommt. Wie dieser Verkehr kann auch die Diskriminierung in mehrere Richtungen erfolgen. Wenn es an einer Kreuzung einen Unfall gibt, kann er durch Verkehr aus der einen, aber auch aus der anderen Richtung verursacht worden sein - manchmal sogar aus allen Richtungen gleichzeitig. Dasselbe gilt für eine schwarze Frau, die an einer "Kreuzung" verletzt wird; die Ursache kann sowohl sexistische als auch rassistische Diskriminierung sein" (Crenshaw 1989:149).
Weiter denken
KEY-WORDS/ CROSS-REFERENCES
Reflexivität, Multikulturalismus, Internalisierter Rassismus/Doppelbewusstsein, Doing School
Quellen
Crenshaw, K. (1989). Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine. http://portal-intersektionalitaet.de/theoriebildung/ueberblickstexte/ (10.2.2020, 17:05)
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