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Repräsentation

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Warum diesen Text lesen

Das Konzept der Repräsentation bezieht sich auf eine zentrale menschliche Praxis, die Bedeutung produziert - es unterstreicht, dass der symbolische Bereich im Zentrum des sozialen Lebens steht. Angenommen A (etwa die Flagge eines Landes) repräsentiert B (der Staat). Für die Repräsentation gilt, dass sich alle Beteiligten einig sein müssen, dass A als stellvertretend für B gelten kann. Repräsentation ist ein wesentlicher Teil des Prozesses, durch den Bedeutung produziert und zwischen Beteiligten ausgetauscht wird. Sie beinhaltet den Gebrauch von Sprache, Zeichen und Bildern, die für Dinge stehen oder sie repräsentieren (Hall 1997). Sprache im weitesten Sinne umfasst hier nicht nur gesprochene oder geschriebene Sprache, körperliche Gesten und Ähnliches, sondern auch andere Arten der Bedeutungsproduktion, wie die Art und Weise, in der die Modeindustrie Kleidung verwendet oder das Fernsehen digitale Bilder verwendet und so weiter. Der Begriff der Bildsprache sagt in diesem Kontext viel über die Symbolik von Bildern aus.
Generell ist Repräsentation ein zentrales Merkmal der Bildung, oder, genauer gesagt, die Bildung selbst ist ein System der Repräsentation, genau wie wissenschaftliche Disziplinen, einschließlich der Anthropologie. Bildungsinstitutionen, aber auch einzelne Pädagog*innen sind zutiefst in die Bedeutungsbildung involviert - sie organisieren, definieren und repräsentieren historisch spezifisches Wissen und Weltbilder.  Daher ist es für Pädagog*innen von großer Bedeutung, über den Prozess der Repräsentation im Bildungsbereich nachzudenken. Der Text wird zunächst erklären, was mit Repräsentation gemeint ist, und sie in den Kontext der Anthropologie stellen. Anschließend wird anhand von ethnographischen Beispielen die Relevanz im Bildungskontext beschrieben.

Historischer Kontext

Wir beziehen uns hier auf das, was der Kulturtheoretiker Stuart Hall (1997) im Großen und Ganzen als konstruktivistischen Ansatz zur Repräsentation und Bedeutungsgebung bezeichnet. Dieser Ansatz stellt die These auf, dass weder die Dinge selbst noch einzelne Menschen in ihrer Bedeutung durch Sprache gefasst werden können. Vielmehr wird Bedeutung durch Repräsentationssysteme konstruiert. Ein Stein kann eine dichte Masse am Straßenrand sein, er kann ein Felsbrocken sein, er kann eine Waffe, ein Werkzeug, ein Baumaterial, ein Ornament usw. sein. Die Bedeutung eines Felsens liegt nicht im Fels selbst, sondern in den Beziehungen, in die Menschen ihn hineinlegen. Wir dürfen die materielle Welt, in der Dinge und Menschen existieren, und die symbolischen Praktiken und Prozesse, durch die Repräsentation, Bedeutung und Sprache funktionieren, nicht verwechseln (Hall 1997).
In den 1980er Jahren verlagerten sich die vorherrschenden Ansichten über Repräsentation in den Sozial- und Geisteswissenschaften zu diesen konstruktivistischen Ansätzen, die durch die theoretischen und historischen Bedingungen der Zeit (nach dem Zweiten Weltkrieg, Entkolonialisierung, postkoloniale Kritik usw.) entstanden waren. Marcus und Fischer (2003) haben diesen Übergang als "Krise der Repräsentation" bezeichnet. 
Die Thematik ist kaum nur eine philosophische Frage, sondern hat sehr reale Auswirkungen. Die theoretische Verschiebung hin zu Fragen der Repräsentation in einer Reihe von Disziplinen beinhaltete die Anwendung einer Selbstkritik auf Probleme der Wissensproduktion, Wahrheitsfindung, Interpretation und Formen der Repräsentation. In der Anthropologie entstand die "Krise der Repräsentation" aus der Unsicherheit über angemessene Mittel zur Beschreibung der sozialen Wirklichkeit und löste eine kritische Debatte über den Gegenstand der Anthropologie (den "Anderen"), ihre Methode (Ethnographie), ihr Medium (Feldforschung) und ihre letztendliche Absicht (Wissensproduktion) aus (Marcus & Fischer 2003; Clifford & Marcus 1986). Die daraus folgenden Debatten haben eine Reihe grundlegender Fragen für die Disziplin aufgezeigt. Wie kann die Anthropologie jemals objektive Aussagen über diejenigen machen, auf die sie ihren Blick wirft? Was sind die ethischen und politischen Dimensionen der Konstruktion von Darstellung von Gesellschaften? Was können diese aufgeworfenen Fragen über unsere Fähigkeit zur Reflexivität offenbaren, wie kann sich die Disziplin an eine solche Kritik anpassen, und sollte sie das überhaupt? Diese kritischen Fragen sind nützlich, um sie im Hinblick auf Bildungspraktiken und Repräsentationsprozesse zu untersuchen.

Diskussion

Beginnen wir mit einem Beispiel der getrennten Schulbildung in Bosnien und Herzegowina, die als "zwei Schulen unter einem Dach" (, two schools under one roof / dvije škole pod jednim krovom) bezeichnet wird. Dies ist vor allem in den zentralen und südlichen Teilen des Landes, die hauptsächlich von Menschen mit bosnischem und kroatischem Hintergrund bewohnt werden, verbreitet. Die Schüler*innen bilden faktisch zwei verschiedene Schulen in einem Gebäude. Sie besuchen die Schule in verschiedenen Schichten und mit langen Pausen, um den Kontakt zwischen ihnen zu minimieren. In einigen Schulen betreten sie verschiedene Eingänge oder müssen verschiedene Treppenhäuser benutzen. Sie verwenden unterschiedliche Lehrbücher, haben unterschiedliche Lehrer*innen und sogar ein völlig anderes Verwaltungssystem. Sogar in so genannten "Einheitsschulen" wie dem Gymnasium in Mostar, bosnischen und kroatischen Schüler*innen wird ein anderer Lehrplan verwendet - gemeinsam im Sportunterricht und im Computerraum, aber getrennt voneinander in einer anderen Sprache wie Geographie und Geschichte. 
Betrachten wir diese Bildungseinrichtungen nun als Repräsentationssysteme, die sich mit Ideen und "Wahrheiten" darüber befassen, wie die Welt ist und sein sollte. Der Unterricht in bestimmten Fächern - Mathematik, Sprache, Musik, Geographie usw. - und ihre Organisation (in Bezug darauf, wann, wem und wie sie unterrichtet werden) geben nicht einfach objektive Beschreibungen der Welt oder vermitteln objektives Wissen. Sie bilden nicht einfach nur logische Zusammenstellungen; sie erzeugen Repräsentationen und schreiben Wert und Bedeutung in Übereinstimmung mit bestimmten Perspektiven zu, die historisch und lokal speziell sind. Bildungseinrichtungen produzieren und teilen Wissen zu bestimmten Zwecken. Sie sind "Schiedsrichter" von Bedeutungen, da ihre gesellschaftliche Position es ihnen erlaubt, spezifische Wissensrahmen zu definieren und zu fördern. 
Um weiter über Bildung als ein Repräsentationssystem nachzudenken, können wir die Frage der Herkunft (englisch: race) untersuchen. Die evolutionäre und physische Anthropologie war zutiefst an der Konstruktion und Verbreitung von Darstellungen der "Anderen" basierend auf Herkunft beteiligt, die auch heute noch dem allgemeinen Verständnis von Herkunft zugrunde liegen. Kulturanthropolog*innen haben jedoch auch gleichzeitig daran gearbeitet, dieser Art von Darstellungen entgegenzuwirken. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts analysierten einer der "Väter der Anthropologie", Franz Boas (1858 - 1948) und eine Gruppe seiner Anthropologiestudent*innen populäre Lehrbücher in amerikanischen Schulen. Sie stellten fest, dass die Mehrheit der Schulbücher "das Konzept von Herkunft missbrauchten, während ein beträchtlicher Teil "das lehrt, was auf Nazi-ähnliche Doktrinen über überlegene und unterlegene Gruppen hinausläuft" (Boas in Burkholder 2011, eigene Übersetzung). Boas arbeitete direkt mit Lehrkraftsgewerkschaften, prominenten nationalen Pädagog*innen und vielen seiner eigenen ehemaligen Schüler*innen auf dem Gebiet der Anthropologie zusammen, um eine genauere Darstellung der menschlichen Vielfalt in Grund- und Sekundarschulen zu fördern. Eine von Boas' Schülern, Ruth Benedict, unterrichtete Lehrer*innen über das Konzept der Herkunft. Eine andere, Margaret Mead, gab Lehrer*innenfortbildungen hinsichtlich des genauen Gebrauchs des Konzeptes der "Kultur".  Boas' Beispiel folgend arbeiteten sowohl Benedict als auch Mead direkt mit Lehrerausbilder*innen, Lehrerkräften, Bildungsorganisationen, dem Militär und den Gewerkschaften zusammen, um während des Zweiten Weltkriegs um Programme für Toleranz und Verständnis zu entwerfen (Burkholder 2011).
Historische und soziale Veränderungen, politische Kämpfe, der Lauf der Zeit, globalisierte Arbeitsmärkte und die geografische Verbreitung von wissenschaftlichem Rassismus und andere Ereignisse haben die Art und Weise verändert, wie Herkunft auf der ganzen Welt dargestellt und gedacht wird.  Was wir über Herkunft lehren und die Art und Weise, wie wir sie lehren (und auch, was wir denken), ist für Pädagog*innen, Anthropolog*innen, Wissenschaftler*innen, Student*innen, Eltern und die Gesellschaft im Allgemeinen nicht weniger eine umstrittene Frage geworden. Daran lässt sich gut erkennen, wie Repräsentationen reale Auswirkungen für viele Menschen haben können.

Ethnographisches Beispiel

In den 1990er Jahren führte Linwood H. Cousins (1999) eine ethnographische Studie über eine schwarze High School und Gemeinde in einer amerikanischen Stadt durch. Diese Schule verweist stolz auf ihre Aufstiegsmobilität, die sich in Vorstellungen von respektablen Werten, Verhaltensweisen und Einstellungen in den Beziehungen zwischen Schule, Familie und Gemeinschaft verkörpert. Im Rahmen einer zweijährigen Feldforschung konnte Cousins jedoch zeigen, wie sich die Repräsentation der Klasse auf die anderen Beziehungen in einer Schule auswirkt.
Cousins analysierte insbesondere, welche Arten der Kleidung, des Sprechens, der Gestik und der Geselligkeit vom Schulpersonal, den Schüler*innen, den Eltern und der weiteren Gemeinschaft als respektabel vermittelt werden und welche im Gegensatz dazu aus verschiedenen Gründen als beunruhigend und unangemessen angesehen werden. Er untersuchte, wie Schüler*innen mit und auf verschiedenen Darstellungen von Herkunft, Klasse und Geschlecht "spielen" und wie sie auf dieser Grundlage ihre eigene Identität verhandeln.
Im Kontext einer Gemeinschaft und Schule, in der Schüler*innen durch die Übernahme von Lebensstilen, und Verhaltensweisen der Mittelschicht nach sozialer Aufwärtsmobilität streben, wird die Ästhetik eines populären schwarzen Genres wie Hip-Hop als selbstzerstörerisch, selbstverhöhnend und respektlos gegenüber der schwarzen Gemeinschaft angesehen. In der populären Vorstellung wird Hip-Hop als "Unterschicht" betrachtet und mit Kriminalität, Gewalt, Sexismus und sexueller Freizügigkeit in Verbindung gebracht.
Obwohl einige Schüler*innen, die sich dementsprechend kleideten, Eltern mit College-Ausbildung, guten Gehältern und einer Ethik der Aufstiegsmobilität durch Bildung hatten, unterstützte ihr Lebensstil (wo sie lebten, die Art von Kleidung, die sie trugen, und das Essen, das sie aßen, sowie ihre Neigung, weitgehend in schwarzem Englisch (AAE) zu sprechen) andere Symbole in der Schule, um ihrem Umfeld den Einfluss der Unterschicht in ihrem Hintergrund zu signalisieren. Für viele Lehrer*innen, Eltern und Schüler*innen stellte lautes Verhalten zum Beispiel Zügellosigkeit, soziale Rückständigkeit und einen generellen Mangel an angemessenen Werten dar, besonders wenn die Schüler in einer "nicht-schwarzen" Öffentlichkeit "laut" waren.  Für viele in der Gemeinde wurde lautes Verhalten nur in diesem Kontext problematisiert.
Im Laufe der Untersuchungen von Cousins beschloss die Schule, das Verhalten der Schüler*innen zu überwachen, und begann, diejenigen zu bestrafen, die nicht die von ihnen bevorzugten Verhaltensweisen und Stile wie saubere Kleidung, korrektes Sprechen und Respekt vor Autorität an den Tag legten. Dies führte jedoch nur zu stärken Gegenhandlungen der Jugendlichen, die darin eine Verleugnung ihrer Herkunft sahen und auf kreative Arten Widerstand leisteten. In diesem Sinne waren die Handlungen komplexer als einfache Interpretationen von Trotz und Unreife. Cousins argumentierte, dass diese Heranwachsenden ihre eigene Handlungsfähigkeit und eine Vielzahl von Bestrebungen und Absichten hätten, die mit denen ihrer Altersgenossen, ihrer Familie und ihrer Gemeinschaft teilweise kompatibel und teilweise unkompatibel seien. Repräsentationen, wie Kleidungstrends, Sprache, Musik und Einstellungen sind teil der persönlichen Politik (personal politics) und sollen in ihrer Symbolik ihrem Umfeld gewisse Ansichten signalisieren. Durch ihre verschiedenen Darstellungen bildeten die Schüler*innen ihre eigenen Identitäten, die sich nicht sauber in vorgegebene Klassifizierungen einfügten und einen tiefgreifenden Einfluss auf ihre Bildungsmöglichkeiten hatten.

Weiterdenken:

  • Denken Sie über die Themen nach, die Sie unterrichten. Haben Sie sich jemals gefragt, wie der Lehrstoff dargestellt wird, durch Sie oder durch das Lehrbuch? Bedeutet Ihr Thema für Sie, Ihre Schüler*innen, andere Kollegen und die Allgemeinheit etwas anderes?
  • Welche Werte sind mit Ihrem Fach verbunden? Machen diese Assoziationen das, was Sie unterrichten, schwieriger oder leichter zu unterrichten?
  • Gibt es an Ihrer Schule Regeln über "anständiges" oder angemessenes Verhalten und Kleidung? Nimmt die Schule das Verhalten und die Lebensweise der Schüler*innen unter die Lupe, basierend auf dem, was diese repräsentieren? Wenn ja, was und wessen Identität steht auf dem Spiel? 
  • Können Sie ein Beispiel dafür geben, wie die Schüler*innen mit den Regeln der Angemessenheit spielen? Könen Sie sich vorstellen, was dieses "Spiel" für die Schüler*innen bedeuten könnte?
  • Denken Sie, dass das, was Sie lehren, sich auf Ihre Schüler*innen auswirkt? Abseits von dem rein fachlichem Wissen: Kann es den Lebensverlauf von Schüler*innen beeinflußen?

Stichwörter / Querverweise

Repräsentation, Sprache, Symbolik, Kultur, Bildung, Reflexivitität, Identität, Herknuft

Quellen

Burkholder, Z. (2011). "Can Anthropology Improve Antiracist Education?". Anthropology Now 3/3: 36-46.
Clifford, J., Marcus, G. E. (1986). Writing Culture: The Poetics and Politics of Ethnography. University of California Press.
Cousins, L. H. (1999). ""Playing between Classes": America's Troubles with Class, Race, and Gender in a Black High School and Community". Anthropology & Education Quarterly 30/3: 294-316.
Hall, S. (1997). Representation: Cultural Representations and Signifying Practices. SAGE Publications.
Marcus, G. E., Fischer, M. M. J. (2003). Antropologija kao kritika kulture: eksperimentalni trenutak u humanističkim znanostima. Zagreb: Naklada Breza.
Organization for Security and Cooperation in Europe. Mission to Bosnia and Herzegovina. 2018. „Two Schools Under One Roof” The Most Visible Example of Discrimination in Education in Bosnia and Herzegovina.

Autor*innen

Jelena Kupsjak, Danijela Birt Katić (Kroatien)

The European Commission support for the production of this publication does not constitute an endorsement of the contents, which reflects the views only of the authors, and the Commission cannot be held responsible for any use, which may be made of the information contained therein.

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