Nicht zuletzt die Klimakrise hat das Anthropozän – eine von Geolog*innen ausgerufene neue geochronologischen Epoche der Erde, markiert durch einen irreversiblen Einfluss des Menschen – in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Es scheint, dass Umweltfragen sowohl unser Leben und das unserer Nachkommen bestimmen werden. So kommt Lehrenden die zentrale Rolle zu, das Thema Umwelt auf eine Weise einzubeziehen, die verschiedene Arten der Verantwortung für das zukünftige Leben auf dem Planeten fördert. Lehrer*innen wie Pädagog*innen generell sind dafür verantwortlich, den Lernenden das Wissen und die Fähigkeiten zu vermitteln, die sie brauchen, um sich in einer sich verändernden Welt zurechtzufinden. Es gibt kein Schulfach, in dem das Wissen über verschiedene Umweltprozesse nicht sinnvoll einbezogen werden kann, und die Anthropologie kann dabei helfen zu lernen, wie.
In der Anthropologie bezieht sich der Begriff Umwelt im Allgemeinen auf unsere physische und soziale Umgebung und umfasst hier mehr als das, was oft als Natur bezeichnet wird. Er umfasst die materiellen Bedingungen, die das Leben unterstützen, die gebaute Umwelt, d.h. eine vom Menschen geschaffene, sowie die soziokulturelle Umgebung, d.h. die Beziehungen, die wir mit anderen Wesen und Dingen haben. Diese Unterscheidung ist jedoch grob, und die begriffliche Dichotomie zwischen Natur und Kultur (oder Gesellschaft) als zwei verschiedenen, gegensätzlichen Phänomenen neigt dazu, zu vergessen, dass der Mensch selbst Teil der Natur ist und dass diese beiden Unterscheidungen wie andere Konzepte lediglich nur Werkzeuge zum Denken sind.
Das oft benutzte Konzept der Ökologie bezieht sich auf die Interaktion zwischen Menschen, anderen Tieren, Pflanzen und anderen Organismen und einer bestimmten Umwelt. Umwelt und Ökologie sind in letzter Zeit zu wichtigen globalen Themen geworden, nicht zuletzt wegen der Auswirkungen menschlicher Aktivitäten, speziell unserer Wirtschaftsweise des industriellen Kapitalismus, auf das Erdsystem, die das neues geologisches Zeitalter des Anthropozäns markieren.
Schon seit Beginn der Disziplin haben Anthropolog*innen schon immer die Wechselwirkungen zwischen dem Menschen und seiner Umwelt zur Kenntnis genommen und untersucht. So bildeten sich Sub-spezialisierungen innerhalb der Anthropologie, um diese Beziehungen zu erforschen, wie die Umweltanthropologie, die ökologische Anthropologie oder die Ethnoökologie. Es ist schließlich die einzige Art und Weise, wie Menschen und andere Wesen und Dinge in der Welt existieren, nämlich in Umgebungen, die gleichzeitig durch Handeln geformt werden als auch ihre Bewohner*innen formen, durch Anpassungsprozesse, die nie gänzlich abgeschlossen sind.
Während die Anthropologie zwar immer den Menschen im Hinblick auf das Eingebettet-sein in verschiedenste Umgebungen im Blick hatte, so hat sie dennoch, wie die Sozialwissenschaften generell, Dichotomien geschaffen, die auf der einen Seite das menschliche Handeln gegenüber der Umwelt im Zentrum haben oder auf der anderen Seite, und das in weitaus geringerem Maße, die Umwelt als Quelle menschlichen Handelns privilegieren. Einige Anthropolog*innen haben argumentiert, dass es genau diese dichotome und zentrierte Denkweise ist, die zum Anthropozän geführt hat.
Das Anthropozän weist auf eine Zäsur in der Intaktheit von geologischen Prozessen hin - die Gesamtheit der voneinander abhängigen physikalischen, chemischen, biologischen und menschlichen Prozesse, von denen unsere Existenz abhängt. Zentral ist hier die menschliche Aktivität als Eingriff in diese Prozesse. Anna Tsing (2015) und andere Anthropolog*innen kritisieren jedoch den Begriff des Anthropozäns, der die Menschheit im Allgemeinen als mächtigste globale Kraft in den Mittelpunkt stellt. Sie weist uns darauf hin, das, was geschieht, als den Effekt einer sehr speziellen modernen kapitalistischen Logik zu sehen, die alle Menschen und andere Wesen in Ressourcen verwandelt. Während der Mensch den Planeten seit Zehntausenden von Jahren in verschiedenen Formen bewohnt, ist es erst in jüngster Zeit so, dass alles organische Leben und anorganisches Material in Ressourcen für Ausbeutung und Profit verwandelt wird.
Die Last globaler ökologischer Zusammenbrüche ist unverhältnismäßig verteilt, denn es betrifft die vulnerabelsten sozialen Gruppen so dass diejenigen, die am wenigsten zu den Auswirkungen des Klimawandels beigetragen haben, nichtsdestotrotz die größte Last tragen werden. Die wohlhabendsten Staaten, einschließlich der EU, tragen unverhältnismäßig stark zu den Emissionen, der Umweltverschmutzung, dem Konsumverhalten und anderen Triebkräften des Klimawandels bei und können sich gleichzeitig auch besser vor seinen Auswirkungen schützen.
Im Sommer 2019 veröffentlichten die Vereinten Nationen einen Bericht, in dem sie uns ein weiteres Mal vor den unvermeidlichen Folgen des Klimawandels und der daraus resultierenden "Klima-Apartheid" warnten, die zu beschleunigter Migration, Tod und zunehmender Ungleichheit führt:
"Auf eine perverse Art und Weise werden die Reichsten, die über die größte Anpassungsfähigkeit verfügen und für die überwiegende Mehrheit der Treibhausgasemissionen verantwortlich sind und davon profitiert haben, am besten in der Lage sein, den Klimawandel zu bewältigen, während die Ärmsten, die am wenigsten zu den Emissionen beigetragen haben und am wenigsten in der Lage sind zu reagieren, am stärksten geschädigt werden. Die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung - 3,5 Milliarden Menschen - ist für nur 10 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich, während die reichsten 10 Prozent für die volle Hälfte verantwortlich sind. Eine Person in den reichsten 1 Prozent verbraucht 175 Mal mehr CO2 als eine Person in den unteren 10 Prozent" (Alston 2019: 4f, eigene Übersetzung)
Dementsprechend sollte klar sein, dass das Anthropozän für uns alle eine große Herausforderung darstellt. Lehrer*innen und Pädagog*innen befinden sich in einer Situation, in der sie Lernende auf die Lebenswirklichkeiten vorbereiten müssen, die sie selbst noch nicht kennen. Ihre Klassenzimmer werden immer vielfältiger, da sich die Migrationsmuster global und lokal aufgrund des Klimawandels beschleunigen und die Ungleichheit zwischen Arm und Reich zunimmt.
In der Sonderausgabe von "Teaching Anthropology" mit dem Titel "Teaching anthropology in uncertain times" (2017) laden uns die Autor*innen dazu ein, zu sehen, wie eine ethnographisch informierte Pädagogik dazu beitragen kann, den Unterricht so zu gestalten, dass Unsicherheit zu einem brauchbarem analytischem Instrument für das Lernen und Leben in unsteten Zeiten wird. Kyle Harp-Rushing (2017) schreibt über das Nachwirken von anthropologischen Lerninhalten, d.h., die Resonanz anthropologischer Ideen und ethnographischer Sensibilitäten, die die Schüler*innen "in die Welt hinaus" mitnehmen, unabhängig davon, ob sie sich später im Leben explizit mit Anthropologie beschäftigen oder nicht. Stefanelli (2017) verweist auf den bedeutenden Beitrag von anthropologischen Sichtweisen als eine Reihe von reflexiven, kritischen Praktiken, von denen die Studierenden in kommenden unsteten Umständen profitieren. Doch zunächst, wie Marie Brennan (2017) betont, ist folgendes vonnöten:
"Um unsere Arbeit im Bildungswesen verantwortungsvoll zu tun, uns eine komplexe Lesart der Welt aneignen, als Weltbürger*innen und Mitglieder verschiedener Gemeinschaften, einschließlich derer der weltweiten im Bildungsbereich tätigen Lehrenden im 21. Jahrhundert. Wir können es uns nicht leisten, in Bezug auf die sich verändernde Welt Analphabet*innen zu sein, und das bedeutet, dass wir viel vertrauter mit einem breiteren Spektrum physikalischer und sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse und mit lokalen Räumen/Orten werden müssen". (2017: 46, eigene Übersetzung)
Cara Payne (2015) bietet uns zugleich ein Projekt und eine ethnographische Studie über den australischen Lehrplan, die dem Prinzip der Nachhaltigkeit Priorität einräumt. Die Studie umfasste die Entwicklung und Umsetzung eines auf Nachhaltigkeit ausgerichteten wissenschaftlichen Programms, das in den Unterricht der Kinder eingebettet ist. Das wissenschaftliche Programm basierte auf einer sozialkonstruktivistischen Lerntheorie, und seine Pädagogik wies Strategien auf, die kooperatives Lernen erleichterten. Das Programm war auf kleine Kinder zugeschnitten, indem es alters- und kulturangepasste Verbindungen und Perspektiven zur Bildung bot, die lokale Umgebung für Exkursionen, Untersuchungen und produktive Aktionen nutzte und die Bodenständigkeit des Programms verstärkte. Auf der Grundlage von kooperativen Lernstrategien und der Einbeziehung der Kinder in die Reflexion durch wissenschaftliche Zeitschriften unterstützte dieser kindzentrierte Ansatz verschiedene Lernstile durch Exkursionen, problembezogene Anweisungen und die Bereitstellung einer unterstützenden Umgebung, in der ihre Grundbedürfnisse erfüllt wurden. Die Teilnahme der Kinder an dem Programm führte zu ihrer Befähigung zu Themen wie der Sinnhaftigkeit von Handlungen, einer positiveren Einstellung zu Fragen der ökologischen Nachhaltigkeit wie gegenseitige Verantwortung, Biodiversität, Erhaltung des Lebensraums, Ressourcennutzung, Wasserverschmutzung, Müll und Abfall, Luftverschmutzung und Verbindungen von Dingen. Die Studie erarbeitete und implementierte nicht nur ein Programm, sondern machte auch eine Reihe von Vorschlägen und Empfehlungen für Lehrer*innen, Pädagog*innen und Schulen, was die Planung, Umsetzung und das Engagement in Umweltfragen über eine einzelne Disziplin, ein Programm oder eine Klasse hinaus betrifft.
Zuletzt bleibt zu sagen, dass das Anthropozän Fragen rund um Klimagerechtigkeit aufwirft, und so untrennbar mit anderen Konzepten in der vorliegenden Publikation verknüpft ist. Dementsprechend ermutigen wir Sie, sich auch mit anderen Themen zu befassen, wie zum Beispiel dem Kolonialismus, der Globalisierung, dem Ethnozentrismus und Migration.
Globalisierung, Ethozentrismus, Migration, Doing school, Reflexivität, Kolonialismus
Brennan, M. (2017). “Struggles for teacher education in the age of the Anthropocene” Journal of Education (69), 43-66. http://www.scielo.org.za/pdf/jed/n69/03.pdf (zuletzt abgerufen am 25.04.2020)
Haenn, N. & Wilk, R. (2006). The Environment in Anthropology A Reader in Ecology, Culture, and Sustainable Living. NYU Press.
Harp-Rushing, K. (2017). “Teaching uncertainty: an introduction”. In: Teaching Anthropology, 7(1).
https://culanth.org/fieldsights/teaching-uncertainty-an-introduction (zuletzt abgerufen am 25.04.2020)
Payne C. (2015). Education for sustainability: and ethnographic study of 15 year-2/3 Rural Wester Australian Children's Attitudes on Sustainability. Faculty of Education and Arts. Edith Cowan University. MA-Thesis.
Tsing, L. A. (2015). The Mushroom at the End of the World: On the Possibility of Life in Capitalist Ruins. Princeton University Press.
Stefanelli, A. (2017). The Afterlife of Anthropological Teaching. In: Teaching Anthropology, 7(1). https://www.teachinganthropology.org/ojs/ind (zuletzt abgerufen am 25.04.2020)
American Anthropological Association statement on Humanity and Climate Change http://s3.amazonaws.com/rdcms-aaa/files/production/public/FileDownloads/pdfs/cmtes/commissions/CCTF/upload/AAA-Statement-on-Humanity-and-Climate-Change.pdf (zuletzt abgerufen am 25.04.2020)
Alston, P. (2019). Climate change and poverty Report of the Special Rapporteur on extreme poverty and human rights. In: Human Rights Council Report, Item 3.https://digitallibrary.un.org/record/3810720#record-files-collapse-header (zuletzt abgerufen am 25.04.2020)
Jelena Kuspjak, Danijela Birt Katić (Kroatien)
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